BAG stärkt Arbeitgeber beim „Überstundenprozess“
Seit dem sogenannten „Stechuhr-Urteil“ des EuGH vom 14.05.2019 (Az. C-5/18) bestanden erhebliche Unsicherheiten auf Seiten des Arbeitgebers hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast bei einem Überstundenprozess. Der EuGH hatte entschieden, dass die gesamte Dauer der täglichen Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers aufgezeichnet werden muss. Das Arbeitsgericht Emden hatte die Entscheidung mehrfach zum Anlass genommen, dem Arbeitgeber in einem Überstundenprozess die Darlegungs- und Beweislast aufzubürden, wenn er kein System zur Arbeitszeiterfassung geführt hatte. Dies stand erkennbar im Widerspruch zu dem zivilprozessualen Grundsatz, wonach derjenige, der vergütungspflichtige Überstunden behauptet, diese auch dazulegen und zu beweisen hat.
Der BGA hat dies nun mit den Entscheidungen vom 04.05.2022 (5 AZR 359/21; 5 AZR 451/21; 5 AZR 474/21) wieder „gerade gezogen“. Es bleibt also dabei:
Will sich ein Arbeitnehmer seine Überstunden bezahlen lassen, muss er deren Ableistung ebenso beweisen wie deren Anordnung oder Billigung durch den Arbeitgeber. Daran habe sich nach Auffassung des BAG auch nichts durch das vorgenannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs geändert. Nach gesicherter Rechtsprechung des EuGH beschränken sich die Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie finden indes grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Daher gebe es keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.
Diese Entscheidung des BAG dürfte auf große Zustimmung in Rechtsprechung und Literatur treffen. Denn schon zuvor war die Auffassung des Arbeitsgerichts Emden zu Recht kritisiert worden. Die Entscheidung des EuGH hatte allein die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, nicht aber den einzelnen Arbeitgeber. Letztere sind nicht zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung angehalten. Das ändert sich auch nicht durch die seitens des Arbeitsgerichts Emden in Bezug genommene Bestimmung der EU-GRC, nämlich Art. 31 Abs. EU-GRC. Auch diese Norm richtet sich nicht an einzelne Arbeitgeber, sondern an die Mitgliedstaaten der EU. Eine Drittwirkung ist der Vorschrift nicht zu entnehmen.
Ungeachtet dessen hat sich die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode weiterhin nicht zu der Frage der Umsetzung des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 positioniert. Damit lässt der Gesetzgeber die Fragen der Praxis unbeantwortet, ob, wann und in welcher Weise die unionsrechtlichen Pflichten zur Dokumentation der Arbeitszeit in der betrieblichen Praxis umgesetzt werden sollen. Bedeutsam ist dies vor allem im Bereich der Vertrauensarbeitszeit.
Bei sämtlichen Fragen rund um dieses Thema und alle weiteren arbeitsrechtlichen Problemfelder unterstützt SNB Sie gern.